Jetzt habe ich doch schon länger keinen Beitrag mehr aus meiner speziellen Ecke des Hardcore-Retrotums geschrieben ;-). Das Folgende ist vielleicht zu dem Thema recht interessant, es ist eine Rechtfertigung von mir aus einem Forum zu den üblichen Vorwürfen: plumpe Nostalgie, selbst aufgezwungene Rückständigkeit und „Quälen“ mit alter Technik, Versäumen von Chancen in Beruf und Freizeit etc. – die übliche Leier.  Nachfolgend meine Gedanken zu obigen Argumenten:

Besonders interessant waren natürlich die Ausführungen meines Vorredners, der seinen Standpunkt sehr gelungen dargelegt hat. Das bedeutet aber nicht, dass ich seinen Ausführungen zustimme, denn ich erkenne mich und meine Gründe darin nicht wirklich wieder. Nostalgie in Medien und Fernsehen? Irgendwelche retromäßigen Musikdudeleien und Pseudo-Promi-Gebabbel in RTL-80er-Shows? Meh. Ich sehe seit etlichen Jahren privat kein Fernsehen mehr, der ganze kommerzielle Nostalgie-Medienapparat rollt also an mir vorbei. Grund: es sind Betrachtungen von einem (häufig oberflächlich amüsierten) Standpunkt des 21. Jahrhunderts aus. Und diesen zeitgeistigen Standpunkt betrachte als Ausgangspunkt für einen Blick auf die Vergangenheit im Moment als nicht zu gebrauchen bzw. nur verzerrte „Bilder“ liefernd.

Gesellschaftlicher Ausschluß und berufliche Probleme durch sogenannte „Rückständigkeit“? Der erste Punkt mag durchaus zutreffen, aber dann lege ich auch persönlich keinen Wert auf gesellschaftliche Interaktion mit Menschen, die andere Menschen anhand ihrer technologischen Aktualität und „hipness“ messen und dann bei Abweichung entsprechend mit Mißachtung oder Spott „strafen“. Ich habe in der Tat auch online Kontakte verloren oder kalt werden lassen, weil ich keine Lust auf Kommunikation mit Leuten habe, die mir persönlich wichtige Dinge rein aus angelerntem Prinzip als „antiquierten Dreck von vorgestern“ betrachten.

Berufliche Probleme? Ich arbeite in der Firma natürlich z.B. mit XP und aktuellen Office-Paketen und habe keine Probleme damit (ich bin nebenbei gesagt *der* PC-Experte in der Firma). Es interessiert mich aber privat schlicht und einfach absolut nicht, und wenn ich nach Hause komme, bin ich mehr als froh, einen C64 oder einen alten DOS-PC vorzufinden und damit „lebendig“ arbeiten zu können und aktiv zu sehen, was Basteln und Computern bedeutet. Die Menschen heutzutage begnügen sich doch damit, vor undurchschaubarer Black-Box-Hardware mit undurchschaubarer Black-Box-Software zu sitzen. Und fast jeder betrachtet das nicht-wissen-wollen und die Zufriedenheit mit geschlossenen Deckeln mit Lifestyle-Hardware dahinter als völlig normal. Hätte sich etwa ein wahrer Funken des elektronischen Experimentiergeistes z.B. der 70er retten können, hätten wir vielleicht eine bessere Gegenwart. Aber so?

Technologischer Fortschritt ist prinzipiell eine feine Sache. Prinzipiell. Ich bringe einem vermeintlichen Fortschritt, der auf der materiellen und ideellen Zerstörung seiner Wurzeln und seiner Vergangenheit zu beruhen trachtet, jedoch keinerlei Sympathien entgegnet. Wenn der Fortschritt technokratische Kinder gebiert, deren Weltbild lautet „Alles Alte ist Schrott und muss entfernt/entstofflicht/digitalisiert/perfektioniert“ werden, dann kann das IMO nur auf eine schöne neue Welt im dystopischten Sinne hinauslaufen. Und dem stelle ich mich auf einer ganz persönlichen Ebene durch passiven Widerstand in den Weg, denn für mich (und das ist nun eine rein persönliche Ansicht) ist im Moment das Beharren auf einem nicht nur technologischen Status Quo aus früheren Jahrzehnten der am besten funktionierende Schlüssel zur persönlichen Freiheit.

Ich versperre mir damit viele Wege? Vielleicht. Aber vielleicht öffne ich mir auch Wege, die so mancher Freund des „Fortschritts“ nicht mehr sieht und sehen mag, weil sie vom digitalen Ozean überflutet und weggespült worden sind.

Wie ich an anderer Stelle geschrieben habe, sollte das Inviduum immer das unveränderliche Recht auf Imperfektion haben. Wenn die Welt nun sagt, dass sie die Imperfektion abschaffen möchte (und die Glattbügelung von stofflosen Medien in Optik, Klang und Inhalt ist nur eine Facette) dann heiße ich das nicht gut und werde es niemals tun. Es zeigt keinen Respekt vor der Materie, keinen Respekt vor dem subjektiven Wert der Imperfektion und last but not least keinen Respekt vor der Vergangenheit. Würde sich dieser Respekt in die Gegenwart transferieren lassen, wäre sie erneut ein Stückchen weniger dunkel.

Fürchte ich mich vor der Zukunft und betreibe daher einen rückwärts gewandten Kult der Vergangenheit? Schwierig zu sagen. Tendenziell eher nicht. Ich fürchte mich nicht vor der Zukunft, ich fürchte mich im Moment eher vor der Gegenwart und vor dem, was sie aus Menschen macht. Sollte sich daran etwas ändern, heiße ich die Zukunft willkommen. Bis dahin lasse ich sie aber lieber vor der Tür stehen.

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Von Chris Pfeiler

on allen Retro-Schreibern bin ich wohl derjenige, der das Thema am Persönlichsten vertritt. Ich habe privat keinen digitalen Lifestyle im modernen Stil, also kein Handy, iKram oder aktuelle Rechner. Viele Leute finden das zum Haareraufen und würden mich gerne „missionieren“, ich finde aber, daß einem ein sog. veraltet-analoger Lebensstil viele Ideen und Perspektiven vermitteln kann.

3 Gedanken zu „Mal wieder Hardcore-Retro“
  1. Du machst genau das Richtige … du erhältst ein Stück der Vergangenheit und kannst es an die jüngere Generation weitergeben. Es ist schon komisch, gerade in Deutschland gibt es eine große Skepsis gegenüber Liebhabern von Homecomputern und Videospielen. Man wird gleich als Nerd und Einzelgänger abgestempelt und die dahinter stehende Arbeit wird leider oft nicht wertgeschätzt. Wenn aber jemand weiß, welcher Fußballspieler die meisten WM-Einsätze hatte und welcher die wenigsten, dann findet diese Wissen den nötigen gesellschaftlichen Anklang … schon irre.

    Ich finde es immer toll, wenn ich zum Beispiel im Fernsehen (welches du ja nicht mehr konsumierst) einen Bericht über einen Schindelmacher oder Korbflechter sehe, der eine alte Tradition beibehält und auch versucht es an die nächsten Generationen weiterzugeben. Vor solchen Menschen habe ich großen Respekt!

    ciao
    mario

  2. „Die Menschen heutzutage begnügen sich doch damit, vor undurchschaubarer Black-Box-Hardware mit undurchschaubarer Black-Box-Software zu sitzen. Und fast jeder betrachtet das nicht-wissen-wollen und die Zufriedenheit mit geschlossenen Deckeln mit Lifestyle-Hardware dahinter als völlig normal. Hätte sich etwa ein wahrer Funken des elektronischen Experimentiergeistes z.B. der 70er retten können, hätten wir vielleicht eine bessere Gegenwart.“

    Nun ja, früher in den 80ern haben ungefähr 1% der C=64 Besitzer, die ich kannte, mit dem Gerät mehr gemacht, als Spiele-Disketten einzulegen und LOAD“*“,8,1 einzutippen. Für einige war es schon eine anspruchsvolle Aufgabe, LOAD“$“,8 einzutippen und gezielt ein bestimmtes Programm zu laden ;-)

    Zur Black-Box-Hardware: Meine heutige Grafikkarte kann ich z.B. selbst programmieren, habe ich in meiner Diplomarbeit gemacht. Das *ist* für mich lebendiges arbeiten, das mir tiefe Einblicke in die Fuktionsweise der Maschine gewährt, die ich faszinierend finde. Die Arbeit war für mich mindestens genauso spannend wie die ersten Rasterbars, die ich damals auf dem C=64 in Assembler programmiert habe. Ich breche mir da keinen Zacken aus der Retro-Krone, nur, weil ich die Grafikkarte per GLSL anstatt direkt per Maschinencode programmiert habe. Ich erfreue mich stattdessen daran, daß das Endprodukt auch auf anderen Grafikkarten als meiner eigenen läuft. Es war eine schöne Zeit, als aus jeder Maschine noch das letzte Bit herausgekitzelt wurde, bevor man zur nächsten überging. Aber das heißt nicht, daß ich etwas Abstraktion deshalb gleich „unschön“ finde.

    Die Leute, die die Maschine verstehen *wollen*, gibt es heute noch genau so wie damals. Heute wie damals sind diese Leute aber eine kleine Minderheit. Wenn sich früher mehr Menschen mit der Maschine beschäftigt haben, haben sie das unfreiwillig getan. Aber wem hilft das bitte, wenn Leute zur Auseinandersetzung mit etwas gezwungen werden, was sie nicht ansatzweise interessiert?

    Meinst Du wirklich es ist der richtige Weg, die Leute durch eher unzugängliche Hardare, die man verstehen *muss*, um sie benutzen zu können, zu mehr Auseinandersetzung mit der Technik zu *zwingen*? Das halte ich für sehr vermessen. Es gibt halt Leute, die wollen das nicht, die werden auch durch eine Konfrontation mit den Details nicht zum Computer-Flüsterer. Während ich z.B. Computer sehr faszinierend finde, finde ich Autos sehr langweilig. Meine Anforderungen ans Auto: Es muss mich günstig von A nach B transportieren und mich möglichst wenig mit Defekten und daraufhin nötigen Reparaturen nerven. Genauso stellen viele Leute ähnliche, oberflächliche Anforderungen an ihren Computer. Warum auch nicht? Das Leben ist zu kurz, um die *ganze* Welt im Detail zu verstehen. Spezialisierung ist bitter nötig.

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