In meiner wissenschaftlichen Arbeit geht es nicht selten um Imagination, Abstraktion und die Unterschiede zwischen digital und analog bzw. digitaler und analoger Welt. Konkret heißt das beispielsweise: ein C64 nötigte uns eine andere, durchaus intensivere Imaginationsleistung ab als ein zeitgenössischer Windows-Rechner mit fetter Grafikkarte und anderen üppigen Leistungsparametern dies heute tut. Denn um in einem 16farbigen 160×200-Pixel-Autorennspiel ein Auto, die Strecke und die Beifahrerin entdecken zu können, ist eine gehörige Portion Imaginationskraft notwendig. Die heutigen Games liefern hingegen meist mundgerecht zubereitete Datenhappen, die in weiten Teilen eher an einen Film erinnern und weniger an ein klassisches Computerspiel. Über diese Unterschiede, die Grenzen und deren Überschreitung kann man nun vortrefflich diskutieren, was gegenwärtig ja auch gemacht wird: der Trailer von „Call of Duty: Black Ops“ sorgt zurzeit für solche Diskussionen. Der genaue Grund: Hier wird ebenfalls die Grenze zwischen digitaler und analoger Weltdarstellung aufgehoben, und das in einem recht außergewöhnlichen Maße, denn die Spielzüge werden hier von Schauspielern mit echten (Film-)Waffen dargestellt. Und genau diese Idee wird beispielsweise bei der ZEIT kritisiert. Was haltet ihr davon? Taugt diese Grenzüberschreitung dazu, den „Killerspiel“-Kritikern neue Argumente gegen solche Games zu geben („Coolness-Inspiration für künftige Amokläufer“) oder ist das ein völlig unnötiger Streit, weil die Ironie des Trailers ausreichend deutlich wird und man die Kirche im Dorf lassen sollte?

Wer den Stein des Anstoßes noch nicht kennt – bitteschön:

Hier auch der ZEIT-Artikel über den Trailer: „Den Soldaten in uns im Zaum halten. Ein Video, in dem reale Menschen herumballern, bewirbt den Shooter „Call of Duty: Black Ops“. Lustig gemeint, aber eine gefährliche Grenzverletzung. Ein Kommentar“

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Von Stephan Humer

Mitbegründer und -herausgeber von Magazin und Website. Und das, ohne das Label „Generation C64″ wie eine Monstranz vor sich her zu tragen. Mag es, über die Grenzen der Chips hinauszuschauen.

Ein Gedanke zu „RETRO-Lounge [68]: Der Soldat in uns“
  1. „Taugt diese Grenzüberschreitung dazu, den ‚Killerspiel‘-Kritikern neue Argumente gegen solche Games zu geben?“

    Wer Argumente dafür sucht, wird wohl auch geflissentlich die – für mein Empfinden – offensichtliche Ironie des Clips übersehen wollen. Ich denke, der Spot gibt sich redlich Mühe, Stereotype der militärischen Aggression aus unserem kulturellen Gedächtnis aufzurufen.

    Ob die Namensgebung der Waffe (Full Metal Jacket), die dem Spielernamen gleichgesetzt wird, heroische SloMo-Aufnahmen (Desperado) und überdimensionierte Explosionszenarien (alles von Arnold Schwarzenegger über A-Team bis Aggro Berlin), die inszenatorischen Referenzen an unser mediales Kultursystem sind ja nicht zu übersehen. Auch die Frage nach der Egoperspektive hat z. B. Gus van Sant in „Elephant“ cineastisch diskutiert.

    Im Gegensatz zum Kommentar von Kai Baiermann in der Zeit würde ich jedoch nicht aufgrund der Bildanalyse den Weg gehen, daraus ein Payback der „oft zu kurz gekommenen“ herauszulesen. Ich kann mir eher vorstellen, dass der Spielerdarstellung vielmehr eine „Otto/Ella Normalverbraucher“-Repräsentation zugrunde liegt. Denn als Argument der Spieler-/Produzentenseite wird ja auch immer das Verhältnis von Spielercommunity (als Grundgesamtheit) zu den auffällig gewordenen Menschen angeführt, die im Vorfeld ihrer aggressiven Handlung einen FPS gespielt haben sollen. Dieser liegt in Relation zu den Verkaufzahlen und der geschätzten Marktdurchdringung nicht mal im Promille-Bereich.

    Das es beim Spielen immer auch um Imagination und Träume geht, will ich gar nicht bestreiten. Den Einsatz von echten Schauspielern im Trailer und den (vermeintlich) daraus entstehenden „Realitätseffekt“ zu kritisieren, erscheint mir ein wenig wie ein blindes Wandeln durch das Uncanny Valley“. Denn hier wurde zu Marketingzwecken lediglich ein Medienwechsel vollzogen, der auf – zugegeben schillernde Weise – crossmedial der Frage nach der Indentifikation des Rezipienten mit dem Protagonisten stellt.

    Ein ähnliches Phantasma findet sich m. E. im aktuellen Zombie-Revival, wo seit jeher Zivilisten in der Situation des Überlebenden mittels Waffengewalt inszeniert werden und die ethische Diskussion nach Personalisierung und Abstraktion immer virulent war (vgl. den Charakter „Bob“ in Romeros „Day of the Dead“ (1985).

    Das dicke Mädchen mit der Brille hat mich übrigens an Brenda Ann Spencer erinnert: http://www.youtube.com/watch?v=hEb01hsKQ1s&feature=related – Nur hat die 1979 garantiert noch keinen FPS am Wochenende gespielt.

    Dennoch: den Spot mit der Frage enden zu lassen, ob nicht in jedem von uns ein Soldat steckt, halte ich wiederum für nicht gerade gelungen. Da ich der Meinung bin, das Medienprodukte immer auch eine Artikulation des aktuellen Zeitgeistes und der kulturellen Disposition darstellen, komme ich nicht darum herum, darin auch eine Legitimation der aktuellen US-amerikanischen Außenpolitik zu sehen, die hier eine unheilvolle Verbindung mit einem biologistischen Prinzip eingeht.

    Wenn ich mir jetzt allerdings aktuelle Entscheidungen unserer bundesdeutschen Regierung in Erinnerung hole (z.B. S21, Verlängerung der Atomreaktor-Laufzeiten), frage ich mich schon, was hier eigentlich mehr „unsere Jugend verroht“ (Zeit) und einer „Vorbildfunktion“ nicht gerecht wird – Computerspiele mit Gewaltinhalten oder die rigorose politische Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen über die Köpfe der Bürger hinweg.

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