Computerspielemuseumsdirektor Andreas Lange hat eine Empfehlung für euch:

„Eine bemerkenswerte Sonderausstellung im Computerspielemuseum Berlin zeigt mit den Werken des Franzosen Thibault Brunet faszinierende, so noch nie gesehene Bilder, die ausschließlich in Computerspielen entstanden sind und uns über die Natur unserer von elektronischen Medien durchdrungenen Realität neu nachdenken lassen.

Aus der klassischen Gamerperspektive betrachtet handelt es sich bei Brunets Fotos um etwas seit vielen Jahren bekanntes und millionenfach praktiziertes: das Anfertigen von Bildschirmfotos, sog. Screenshots, das meist unter Zuhilfenahme von kostenlosen kleinen Programmen oder einer bereits im Computerspiel implementierten Funktion von den Spielern selbst zwecks Dokumentation von besonders gelungen Aktionen, spektakulären Endgegnern oder auch ganz trivial zur Anfertigung einer Spielanleitung mit einem Tastendruck bewerkstelligt wird. Und doch handelt es sich bei Brunets Fotos um nichts anderes als einen deutlichen Hinweis auf einen grundlegenden Wandel in unserer Weltwahrnehmung. Ist seine Motivation doch eine andere als die der bisherigen Gamerfotografen. Brunet Motivation ist die der Fotografen jeher. Er will Realität dokumentieren und kommentieren, in dem er sie in Bildern verdichtet. Und gerade in diesem klassischen Ansatz liegt das Element des Neuen, wenn es auf digital gestützte Welten angewendet wird. Zeigen Brunets Werke doch eindrücklich, dass die Computerspielewelten keineswegs nur künstlich sind. Im Gegenteil machen sie den Betrachter darauf aufmerksam, dass sich unser Leben bereits jetzt schon zu großen Teilen in virtuellen, IT-gestützten Welten abspielt.

Die Untersuchung dieses Prozesses ist auch das Leitthema des 5. Europäische Monat der Fotografie Berlin, der die Ausstellung veranstaltet und dieses Jahr den Titel distURBANces – Can Fiction Beat Reality? trägt. Mit einem vielfältigen Ausstellungsprogramm werden “die Veränderungen in der fotografischen und künstlerischen Praxis fokussiert, die die stetige Verschränkung der physisch erfahrbaren Nahwelten mit den digitalisierten Fernwelten angesichts der Globalisierung und einer ungekannten Dominanz des Visuellen erfahren” [Ausstellunskatalog].

Dass dabei die digitalisierten Spielwelten in der von Katia Reich kuratierten Ausstellung erstmals ins Zentrum rücken ist nur konsequent, waren doch die Games schon immer Vorreiter in der massenkompatiblen Ausgestaltung der virtuellen Bereiche unserer Umwelt. In-Game-Fotografie, wie das Genre bereits genannt wird, wird von einer zunehmenden Anzahl von Fotografen betrieben. Oft handelt es sich dabei um jüngere Künstler, die wie Brunet (*1982) mit Computerspielen aufgewachsen sind und sich darin bestens auskennen. So ist Brunets Wahl, das Computerspiel Grand Theft Auto (GTA): Vice City (Rockstar Games, 2002) für eine seiner im Computerspielemuseum gezeigten Serien zu benutzen nur konsequent. Ist doch gerade die GTA Serie dafür bekannt, dass die Spieler sich jenseits der vom Spiel angebotenen Aufträge sich frei in der mit viel Liebe zum Detail gestalteten Welt bewegen und diese einfach nur entdecken können. Dabei konzentriert sich Brunet in dieser Serie eher auf nebensächliche, melancholische Motive, die im deutlichen Kontrast zu der offiziellen gewalthaltigen Spielhandlung stehen. In einer anderen ausgestellten Bildserie portraitiert er in klassischer Weise Soldaten und gibt ihnen so ein realistisches Aussehen, obwohl deren Existenzgrundlage ausschließlich in den Programmstrukturen des bekannten Computerspiels Call of Duty: Modern Warfare 2 (Infinity Ward, 2009) liegt. Gerade in diesen Gegensätzen liegt der Reiz und auch die Poesie von Bruntes Werken. Lässt man sich darauf ein, kann man den Wandel, dem unser Leben durch die Digitalisierung unterworfen ist, aus einer neuen Perspektive verstehen lernen und intuitiv nachspüren.

Die Ausstellung findet vom 18.10. – 26.11.2012 im Computerspielemuseum Berlin statt.“

Computerspielemuseum, Karl-Marx-Allee 93a, D-10243 Berlin
Öffnungszeit: täglich 10-20 Uhr, außer dienstags

Der Eintritt in die Sonderausstellung ist im Eintrittspreis des Computerspielemuseums enthalten

Tel: +49 30 6098 8577
email: service@computerspielemuseum.de
Web: www.computerspielemuseum.de
Facebook: www.facebook.com/Computerspielemuseum
Twitter: twitter.com/CSM_Berlin

Vernissage: 17.10.2012 18:00 Uhr

Führung und Gespräch mit dem Künstler Thibault Brunet sowie dem Kurator des Computerspielemuseums Andreas Lange: Sa, 20.10.2012 15:00 Uhr

Katalog: Kulturprojekte Berlin for European Month of Photography (Hg. / ed.): distURBANces: Can Fiction Beat Reality? Mit Beiträgen von / with essays by Gunda Achleiter, Berthold Ecker, Paul di Felice, Vasja Nagy, Petra Noll, Katia Reich, Kolja Reichert, Rolf Sachsse, Gabrilla Uhl; English, 100 S./p., Berlin 2012

Von RETRO