Hier habe ich noch einen recht bizarren Beitrag vom letzten Jahr aus meinem Blog. Ich wurde damals dafür gescholten, daß ich „Popcorn-Kino“ zuviel Bedeutung zuspreche bzw. es für mein verqueres Weltbild instrumentalisiere. Das mag durchaus sein. Der Leser möge entscheiden. Was als Besprechung des Pixar-Films WALL-E beginnt, wird im Verlauf des Textes zumindest immer mehr auch zu einer Reflektion über den aktuellen Zeitgeist.

Jetzt wollte ich ja noch etwas Nettes über ein Produkt der aktuellen Zeit sagen. Und das fällt mir natürlich immer relativ schwer, denn prinzipiell mache ich ja einen großen Bogen um derlei Produkte und Kram (ganz nach dem Motto „Hast einmal du beschritten diesen Weg, für immer wird davon bestimmt dein Leben…“ ;-)).

Dennoch habe ich nach diversen, positiven Meinungen aus respektablen Richtungen nun doch den Scheibendreher aus dem Schrank geholt, etwas abgestaubt und mir Pixars neuesten Film „WALL-E“ angesehen. Und ich muss zugeben, dass ich tatsächlich äußerst beeindruckt bin – ein neumodischer CGI-Schnickschnack-Film, der aber gleichzeitig in diesem 21. Jahrhundert wie ein Licht in dunkler Nacht erscheint. Oder wie eine analoge Blume in der digitalen Ödnis. Phänomenal.

Dabei mag der Film selbst in verschiedenen Plotelementen nicht mal sonderlich originell sein, das doch auffallend häufige Zitieren von Kubricks „2001“ wäre da kritisch zu nennen – wobei das Spektrum von Inspirationen und Zitaten aber natürlich umfangreicher ist. Auch die Bildsprache eines Chaplin, Keaton und des großen Fortschrittshinterfragers Jacques Tati ist in einigen Szenen klar erkennbar – und auf eine andere, wichtige Inspirationsquelle komme ich weiter unten noch.

Hätte der Film in einigen Szenen mehr Schärfe und Plausibilität gebraucht? Unter Umständen. So ist die Darstellung der Menschheit, als zwar fett und träge gewordene, aber letztlich freundliche und nette Truppe sicherlich eine recht naive Vereinfachung zugunsten eines Happy Ends. Nach Jahrhunderten der Degeneration hätte dies sicherlich auch jene moralische Degeneration bewirkt, die wir ja bereits in der aktuellen Zeit beobachten. Auch die Auflösung mit einer prinzipiell nicht wirklich lebensfähigen Gruppe als Neubesiedler der toten Erde ist trotz der wunderschönen Bilder über den Abspann eine eher unglaubwürdige Idee – die wir zugegeben auch in älteren Filmen wie etwa „Logan´s Run“ in ähnlicher Form finden. Vielleicht ist sie in WALL-E sogar ein wenig glaubwürdiger präsentiert.

In Kontrast dazu stehen ernstere Details und Anspielungen, die für einen (auf einen größtmöglichen Marktanteil bei hippen CGI-Guckern abzielenden) Erfolg eher ungewöhnlich sind, so z.B. die klare Andeutung, dass alle Menschen, die auf der Erde geblieben sind, schon vor Jahrhunderten erstickt oder anderweitig jämmerlich krepiert sind. Auch die Tatsache, dass der Film längere Zeit ohne echte Dialoge und manchmal mit ebenso stillen Bildern auskommt, ist lobenswert. Zumindest scheint Pixar über gewissen Dingen zu stehen und das Marketing hatte nicht das letzte Wort.

Zurück zu WALL-E: auf die emotionalen Bestandteile der Handlung möchte ich nun gar nicht besonders eingehen. Diese brauchen mehrfaches Betrachten und sollten überzeugend für sich stehen. Man sollte den Film vielleicht als zentrale Botschaft zum Thema Individualismus und Freigeistigkeit sehen. Und das ist in einer Zeit wie der jetzigen, in der die einseitigen Digital-Apologeten im Gleichschritt marschieren, eine wichtige und rare Aussage.

Den Film schlicht auf die Liebesgeschichte von WALL-E und EVE zu reduzieren, wäre IMO in jedem Fall äußerst plump. Der Film ist reich an Subtext, das haben zum Glück auch andere online festgestellt. Die Liebesgeschichte ist eine Facette – eine sehr schöne, aber eben nur eine Einzelne im substanziellen Gewebe. Alles andere zum Plotkonstrukt zu degradieren, ist komplett falsch. Was vom Reichtum des Subtextes nun in der Absicht der Autoren und Entwickler lag oder nicht, ist IMO irrelevant – der Film ist offen und damit zum Beispiel in der Tradition der Simpsons-Staffel 2 zu sehen.

Ich weiß nicht, ob WALL-E simples Popcorn-Kino ist. Ich mag kein Popcorn und war seit 20 Jahren nicht mehr im Kino. Ich weiß aber, wenn mich ein Film auf zahlreichen Ebenen berührt und anspricht, und wenn er auf mich wirkt, als wäre er mehr, als nur die Summe seiner einzelnen Teile. Wenn ich das – zugegeben etwas holprig formuliert – anzusprechen versuche, und dazu nur ein einseitiges „Du redest wirr“ zurückbekomme, dann bestärkt mich das darin, daß viele, viele Dinge gewaltig falsch laufen.

Nur ein Beispiel für ein persönliches Ansprechen: WALL-E sammelt kuriose Gegenstände, die er des Erhaltens wert findet. Zu seiner Aufgabe des Aufräumens mit dem Alten (ergo Zerstörens) ist also eine des Erhaltens hinzugekommen, ein eigener Sinn für Ästhetik speziell der kleinen Dinge. Und er hat die Fähigkeit zur Freude über das Finden kleiner Dinge. Mir geht es oft ähnlich. So habe ich letzte Woche z.B. in einer Garage zwischen Sperrmüllkram zwei wunderschöne, englische Ausgaben des „National Geographic“ gefunden, September und Oktober 1981. Und bei diesem freudigen Fund musste ich irgendwie an den Film denken. Gleiches gilt natürlich auch für das Finden von z.B. VHS-Schätzen in Wühlhaufen. Sicher läßt sich sowas auch online finden, vielleicht gleich entstofflicht als Scann oder Datenstrom. Aber wie unglaublich leer und langweilig ist denn das?

Das kritische Argument, daß WALL-E in simpler „Short Circuit“-Tradition Bewußtsein entwickelt, weil er durch die Plotkonstrukte allein auf der Erde ist, trifft die Absicht nicht wirklich. Auch zahlreiche andere Roboter zeigen Bewußtsein bzw. erweitern dies im Laufe der Story – durch WALL-E oder auch allein. Dies geschieht aus den unterschiedlichsten Motivationen, ein übergreifendes Muster ist das Überschreiten von inneren Programmgrenzen und Linien (metaphorisch reale und auch geistige und emotionale.) Wobei es dem Film nicht wirklich um Logik hinter maschinellem Bewußtsein geht – so spricht er denn auch einem Insekt Bewußtsein zu.

Überzeugt mich der Film, das auch aktuelle Medienwerke Klasse haben können und dass ich falsch liege? Nein. Ausnahmen bestätigen nun mal die Regel. In einer Welt, in der ein proto-faschistischer James Bond der Held der Kinogänger ist, kann ein Film wie WALL-E doch nur Ausnahme bleiben. Außerdem wird er bereits durch die Mühlen der Popkultur gedreht (wie eine plumpe Referenz in einer aktuellen Folge der Simpsons beweist) und wird in kurzer Zeit nur noch ein weiteres Stück beliebiger Unterhaltung in DVD-Regalen oder auf Terabyte-Platten sein.

Wenn mich der Film von etwas überzeugt, dann davon, dass der passive Widerstand gegen den aktuellen Zeitgeist am Ende der einzig gangbare Weg zur Menschlichkeit ist. Denn WALL-E ist ein Commodore 64, ein 386er, er ist ein Röhrenradio, ein Plattenspieler, ein Kassettendeck, ein Videorekorder, er ist CP/M, MS-DOS, Windows 3.11 und die Klasse des Web 1.0. Er ist der robo-personifizierte Respekt vor diesen und ähnlichen Dingen und vor den Wurzeln und der Vergangenheit. Ein rostiger, semi-analoger Klumpen realer Substanz in einer Welt des bunten Digitalscheins und er ist das, was am Ende für eine Befreiung steht – Imperfektion.

Mir ist darüber hinaus durchaus klar, dass der Film für eine Versöhnung zwischen alt und neu, zwischen Rost und poliertem Glanz, eintritt. Und in einer besseren Welt wäre ich der erste, der dies begrüßen würde. In unserer Welt und Realität voll mit Beliebigkeit und „Ha Ha, altes Zeug ist alles Schrott“ ist diese Stunde aber noch nicht gekommen.

Die 2001-Referenzen sind umfassender, als es auf den ersten Blick erscheinen mag, so zeigen sie sich z.B. auch in der Grundidee der verborgenen Agenda, die nur der Computer kennt und die dann durch einen klassifizierten Film enthüllt wird. Das Design von EVE in deaktiviertem Zustand scheint mir die Pods der (später) toten Astronauten in 2001 zu kopieren. Da ist sicher noch mehr, natürlich sind aber auch andere Filme deutlich vertreten (z.B. Star Wars, an einer Stelle wird Huttese gesprochen).

Um zum Ende noch eine andere Inspirationsquelle des Films zu entdecken: neben den offensichtlichen Bezügen auf 2001 gibt es in der Pixar-Story sicher mehr als eine Parallele zu Douglas Trumbulls weniger bekanntem Werk „Silent Running“ von 1972. Und wo uns WALL-E einen vielleicht dezent naiven Happy-End-Schluss hinterläßt, ist das Schlussbild von „Silent Running“ eine der wunderbarsten und traurig-optimistischten Szenen der ganzen SciFi-Filmgeschichte. Womit zumindest im Bezug darauf das Jahr 1972 die Nase ein ganz klein wenig vorn hätte.

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Von Chris Pfeiler

on allen Retro-Schreibern bin ich wohl derjenige, der das Thema am Persönlichsten vertritt. Ich habe privat keinen digitalen Lifestyle im modernen Stil, also kein Handy, iKram oder aktuelle Rechner. Viele Leute finden das zum Haareraufen und würden mich gerne „missionieren“, ich finde aber, daß einem ein sog. veraltet-analoger Lebensstil viele Ideen und Perspektiven vermitteln kann.