„Es war einmal …“
Wenn man für ein Projekt mit historischem Bezug schreibt, gehört die Retrospektive zur täglichen Routine wie Wasser zur Dusche. Ich erinnerte mich vor einigen Tagen an unseren RETRO-Quickie: ein kurzes, knackiges Interview mit Leuten aus der Szene, beliebt, informativ, humorvoll. Kurz gesagt: ein kleines, aber feines Projekt. Und völlig zu Unrecht in Vergessenheit geraten. Und warum eigentlich nur beschränkt auf Nerds und Geeks? Inzwischen haben wir alle doch eine umfangreiche digitale Geschichte, selbst, wenn man früher nur ein Faxgerät bedient hat und nicht einmal ansatzweise wußte, wozu ein Joystick gut sein könnte. An der Digitalisierung kommt man schon lange nicht mehr vorbei, dazu muß man kein Hacker oder Gamer sein.
Warum also nicht auch Nicht-Nerds interviewen? Darauf fiel mir keine Antwort, sondern immer wieder nur ein und dieselbe Frage ein: warum eigentlich nicht? Mangels großer Lust auf eine Suche nach dem Haar in der Suppe folgte konsequenterweise die Umsetzung. Daß diese sich etwas anders gestalten dürfte als bei der Befragung von C64-Codern oder Spielemusikern, dürfte nicht wirklich überraschen. Die Ziele sind hoch gesteckt, Absagen vorprogrammiert, die RETRO ist klein, viele Promi-Egos groß – doch wer nicht wagt …
Erster Versuch, vorbildlich gemäß Gender Mainstreaming ein Mann und eine Frau. Ladies first: jung, blond, telegene Allzweckwaffe. Auf die Anfrage folgt eine leicht angewiderte Antwort des Managements: Sorry, aber Computerspiele … das paßt so gar nicht zu ihr! Rückfrage: Warum hat sie dann vor Jahren dazu schon mal einer großen Zeitschrift ein umfangreiches Interview gegeben? Nun braucht die Antwort ein wenig länger: Das ist doch schon Jahre her und heute ist sie viel weiter.
„Viel weiter“ … Aha.
Vielen Dank für diesen Auszug aus Kapitel 1 des Handbuchs für Agenten mit dem Titel „Wie Sie Ihren Klienten erfolgreich und glaubwürdig in den relevanten Medien platzieren, auch wenn diesen das Thema nicht die Bohne interessiert“. (Untertitel: „Und wie Sie inhaltliche Fragen zu diesen Themen zugunsten ihres ahnungslosen Klienten gekonnt abblocken.“)
Nun – es kann nur besser werden – der Herr: Ralf Richter, Schauspieler, Kult-Figur und – Gamer! Seine Fans schätzen das Authentische, Schnörkellose an ihm und so ist er auch im Gespräch: kein langes Gerede nach dem Wieso, Weshalb, Warum, denn Computerspiele interessieren ihn und deshalb gibt’s ein ausgesprochen angenehmes Interview. Raubein Richter präsentiert sich von seiner offenen, freundlichen Seite. Die Fragen sind klar und für alle Befragten gleich, deshalb kommen wir gleich zur Sache.
Herr Richter, mit welchem Computer oder welcher Spielkonsole haben Sie Ihre ersten digitalen Erfahrungen gesammelt?
„Super Nintendo: The Legend of Zelda – A Link to the past. Damit fing alles an. Seitdem habe ich jede neue Spielekonsole angeschafft.”
Was verbinden Sie mit dem Begriff „Commodore“?
„Das ist doch so ein Klassiker, oder? Gesehen habe ich den C64 mal, aber nie damit gespielt. Atari war die Konkurrenz, richtig?“
Welches ist Ihr Lieblingscomputerspiel?
„Fallout. Ein sehr schönes Spiel, auch wenn man ewig und drei Tage dafür brauchte.“
Mit welchen Spielen können Sie gar nichts anfangen?
„Da gibt’s diese Ballerspiele, in denen man immer nur von rechts nach links steuern muß, hin und her, und man schießt und schießt und schießt und schießt … das ist nichts für mich.“
Würde Ihnen etwas fehlen, wenn es keine Computer, Spielkonsolen oder Smartphone-Games gäbe?
„Wären sie auf einmal weg: ja. Hätte es sie nie gegeben: nein. Aber im Ernst: doch, sie würden mir fehlen. Ich bin ja beruflich viel unterwegs, und wenn man dann in einer Stadt im Hotel angekommen ist, München, Berlin, dann trifft man sich abends in der Regel mit Freunden und geht aus. Das mache ich jetzt aber nicht mehr so oft, stattdessen rufe ich vorher im Hotel an und lasse mir einen Fernsehkanal freimachen, damit ich eine Konsole anschließen kann. Dann spiele ich gerne Adventures, die sind ja abspeicherbar. Das ist doch besser als abends immer auszugehen.“
Richter hat sich warmgelaufen, wir könnten sicher noch lange weiterplaudern, doch es gibt nur fünf Fragen, so sind die Regeln. So was stört einen Ralf Richter freilich nicht, ein Statement will er mir unbedingt noch mit auf den Weg geben:
„Trotz der Ballerspiele bin ich immer noch kein Massenmörder geworden!“
Spätestens jetzt hätte sich die verzweifelte Suche nach dem Haar in der Suppe als kolossaler Fehler erwiesen.
Alle Achtung zu diesem kleinen Coup! Wie es schon beschrieben wird, ist es sicher nicht einfach, zu so einem speziellen Thema einen Prominenten für ein Interview zu bekommen. Eine Heerschar von Agenten und Höflingen wacht zumeist über jeden Termin und jede Aussage ihrer jeweiligen Schützlinge.
Umso sympathischer und vor allem schlichtweg normaler wirkt da jemand wie Herr Richter. Fünf Fragen hin oder her, es ist einfach schön zu lesen, dass der Schauspieler, eher weniger Nerd, als vielmehr typischer Konsument ist, der mit Fachbegriffen nicht viel am Hut hat. Mehr davon! :)