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Subversives Retro?

Eine Sache, die ich mich öfter frage: hat sich das Thema „Retro“ durch seine Kommerzialisierung nicht zu sehr von seinem subversiven und hinterfragenden Potential entfernt?

Was bedeutet denn Retro in dieser Zeit überhaupt noch? Nur die Antwort auf die Frage, wo es den neuesten Download von Retro-Games für aktuelles Windows und irgendwelche iPhones gibt? Den neuesten Handheld mit Emulator? Die neueste Applikation mit digitaler 70er Blümchentapete? Den am wehmütigsten formulierten Rückblick in nostalgischem „Hach, weisste noch, wie es damals war“-Schema? Etwas, daß Leute betreiben, die neben ihrem fortschrittlichen Leben im 21. Jahrhundert noch ein bißchen Platz dafür haben? Etwas, daß man aber niemals zu Ernst nehmen sollte, um nicht als „Ewig Gestriger“ zu gelten?

Oder sollte „Retro“ nicht auch für kritische Fragen an das Hier und Jetzt und an den Zeitgeist stehen? Für die Frage, warum neu nicht automatisch auch besser ist? Für die Frage, warum Glattbügelung, Perfektionierung und ein mehr und mehr fortschreitender Verlust von Diversifikation der Welt nur als reiner Segen und Fortschritt verkauft werden und Hinterfragung schon automatisch als suspekt gilt? Kann Retro auch ein Eintreten für das persönliche Recht auf Imperfektion und gegen das amüsierte Schubladendenken über „vergangene Dinge“ bedeuten? Ein passiver Widerstand gegen digitale Konventionen und der Griff zur guten alten Frage „Warum?“ im Angesicht digital-bunter Werbewelten?

Und gerade die letzteren Dinge sind es, die ich im offiziellen Verständnis von Retro zu sehr vermisse, gerade auch im Retro-Magazin.

Aber ich habe da vermutlich einen sehr speziellen Blickwinkel, denn ich kann mit dem üblichen Herangehen an das Thema nur wenig anfangen. Ich habe kein Handy, keinen MP3-Player, kein iPod und kein iPad, mein Rechner spricht DOS, mein Internet kommt breitbandlos aus dem 56K-Modem auf den 16-Bit-Browser. Die gehypte Digitalisierung aller Lebensbereiche ging eigentlich ziemlich spurlos an mir vorüber. Muß ich mich dafür entschuldigen, obwohl es mir damit sehr gut geht? Ist es eine Beleidigung gegenüber Anderen, wenn ich für mich wahrheitsgemäß sage, daß ich mich so freier und unbeschwerter fühle? Muß ich Sätze wie „Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit“ ernst nehmen, obwohl ich sie nun schon seit mindestens 15 Jahren höre – und immer noch da bin?

Sorry, falls der letzte Absatz allzu egozentrisch ausfiel, aber das sind eventuell auch Themen, die für mich in die soziale Komponente des Themas Retro gehören und die sich als allgemeine Fragen an die Welt formulieren lassen.

Eine Anekdote zum Schluß: wie ich im Blog eines Bekannten gelesen habe, hat dieser mal wieder Probleme mit seiner vernetzten Heimkino-Anlage. Nicht zum ersten Mal, es ist wohl eher an der Tagesordnung, daß neue Updates von Servern gezogen werden müssen, identische Versionen von Codecs oder sonstwas nötig werden oder Ferndiagnosen durchzuführen sind. Aktuell nimmt der neue Fernseher defekterweise wohl mal wieder kein Signal namens HDMI an, der Bildschirm bleibt schwarz und ein Techniker muß vorbeikommen, um die Black-Box-Technologie zu reparieren.

Ich hatte letzte Woche auch ein Medienproblem beim Filmgucken. Das Magnetband lief wohl leicht neben der Spur, das Bild flimmerte etwas und das mechanische Zählwerk zählte nicht mit. Ein kräftiger Schlag auf das massive Gehäuse des Rekorders war die Lösung – nun laufen die Filme wieder. Und wenn ich mich jetzt als der Glücklichere bezeichne, bin ich dann wieder nur der „Ewig Gestrige“?

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