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Kleine Kritik am Retro-Magazin

Im Folgenden ein paar kritische Gedanken zur Entwicklung des Retro-Magazins. Ich bitte das Ganze als (hoffentlich) konstruktive Gedanken aufzufassen, denn ich halte das Magazin nach wie vor für eine gute und wichtige Zeitschrift. Allerdings konnte ich mit gewissen Entwicklungen „for a modern audience“ über die letzten Jahre oft nur wenig anfangen. Es mag aber an meinem sehr speziellen Weltbild liegen und daher als konstruktive Kritik auch kaum brauchbar sein. Wenn ich ein Heft gestalten müsste, dann würde es vermutlich aus Artikeln bestehen in der Art „Wie man dem 21. Jahrhundert kräftig in den Hintern tritt“ oder „Die 30 besten Spiele für 16-KB-Rechner“ und die Auflage wäre bald im Keller ;-). Aber man kann sich dennoch fragen, was jemand ohne modernen PC, ohne NextGen-Konsole, ohne neuestes Daddel-Handy, ohne iKram und ohne digitalen 21st century lifestyle eigentlich noch mit einer aktuellen Ausgabe des Magazins anfangen kann. Denn eigentlich sollte das Heft vom Namen her doch auch mit für diese Leute sein, oder? Das führt dann zu der weitergehenden Frage, was die Begriffe „Retro“ und „wirklich alternatives Computern“ heutzutage noch bedeuten.

In der Vergangenheit hat leider mancherlei Zeitschrift aus dem Bereich des alternativen Computerns eine eher negative Entwicklung oder gar ein relativ unrühmliches Ende erfahren müssen. Als Präzedenzfall ist hier vermutlich der ASM zu nennen, der vom anarchischen Querbeet-Magazin am Ende zum PC-lastigen „Spaßmagazin“ kommerzialisiert wurde. Außerdem sollte auch das Schicksal des guten alten „64er“-Magazins nicht unerwähnt bleiben, bei dem am Ende die Abokunden einfach auf die PCgo umgebucht wurden, und der Redakteur dies im Vorwort damit begründete, daß es nun auch für 64er-Freaks an der Zeit sei „…attraktive, neue Wege zu gehen“. Die Verärgerung über dieses (als stillos betrachtete) Verhalten hatte damals ja auch mit zur Gründung der GO64 geführt, wenn ich mich nicht irre. Last but not least sei auch noch der Computer-Flohmarkt genannt, der in seiner klassischen Form auch lieblos mit einem „Der Markt ist tot“-Vorwort beendet wurde, nachdem jahrelang Verbesserungsvorschläge der Leser ignoriert wurden.

Was haben diese Fälle nun mit unserem enthusiastischen Retro-Magazin zu tun? Eventuell nichts. Eventuell noch nichts. Und doch durchlief das Magazin über die Jahre eine Entwicklung, die bei mir trotz allem Engagements seiner Macher bisweilen einen eher schalen Beigeschmack hinterlassen hat. Ein Problem dieser Entwicklung ist meiner Meinung nach, daß die Anforderungen für eine aktive Teilnahme immer weiter nach oben geschraubt wurden (und werden). Zu Zeiten der GO64 gab es die 5,25″-Heftdiskette, die jeder Leser sofort in eine 1541 & Co schieben konnte. Spiele, Demos, Anwendungen und Ideen sofort zur Hand auf C64 und C128. Dann kam das Retromagazin mit der Heft-CD. Ein CD-ROM wurde zur Voraussetzung – und um mit der Software etwas anfangen zu können, war häufig ein aktuelles Windows, Linux oder MacOS nötig. Reine C64- und „Uralt“-PC- bzw. DOS-Anwender wie ich blieben außen vor bzw. auf Bruchstücke beschränkt (die d64-Dateien auf der CD konnte man noch mit DOS-VICE starten). Irgendwann gab es keine Heft-CD mehr, und der Retro-Anwender musste nun schon eine schnelle Internet-Flatrate haben, um sich das iso-Image herunterzuladen. Reine Anwender von C64, Homecomputern, DOS-PCs oder „uralten“ Modems waren somit gar nicht mehr berücksichtigt.

Das hat sicher alles gute Gründe, und mitgeholfen, das Magazin attraktiv für einen größeren Markt zu gestalten, um ihm Zukunft zu geben. Andererseits ist es für mich aber auch ein dezenter Widerspruch zum kritischen Geist der frühen GO64-Tage, als gerade das Alternative und der Widerstand gegen Gigabyte, Aufrüsterei, feste (Wintel-)Schemen und Standardisierung den anarchischen Reiz des Heftes ausgemacht haben. Als man noch an der Software und den Ideen im Heft teilhaben konnte, selbst wenn man „nur“ einen Jahrzehnte alten 8-Bit-Rechner auf dem Schreibtisch stehen hatte. Als Retro noch hieß „Think Kilobyte“. Man kann nun sagen, daß es so etwas doch heutzutage gar nicht mehr gibt, und daß jeder Retrofreund heute die Vorzüge der Moderne schätzt. Aber im gleichen Ton kann man auch sagen „Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit“. Meh. Hätten die Macher der GO64 vor 10 Jahren geglaubt, daß sie 2012 ein Heft publizieren, in dem in (zu?) vielen Fällen moderne PCs oder Konsolen die Voraussetzung für die emotionale Retro-Erfahrung darstellen? In der die Maschine oft nur noch das austauschbare Mittel zum Zweck ist, um eine emulierte Retro-Erfahrung über Standardkanäle zu vermitteln, anstatt der individuelle 8-Bit-Kumpel zu sein?

Wenn ich die Ausgabe 10-12/2011 des Retro-Magazins öffne, dann begrüßt mich die Werbung auf der ersten Seite gleich mit der Nachricht, daß ich eine Demo aus dem Playstation-Network oder von XBox Live herunterladen soll (was immer das sein mag), sowie eine Webseite und ein Facebook besuchen soll, was vermutlich aktuellste 32-Bit-Browser voraussetzt. Im Heft selbst finde ich eine hohe Zahl an Spieletests zu High-End-Games wie Duke Nukem Forever, Skyrim, Assasins Creed Revelations und Batman Arkham City, bei denen es mir eher schwer fällt, einen Retro-Zusammenhang zu erkennen. Daneben ein ganzer Haufen bunte casual games für das neueste Daddelhandy und anderen iKram. Tests zu solchen Spielen würde ich doch eher in Hochglanz-Wintel-Heftchen Marke PC Games & Co vermuten. Und nachdem ich mich durch oft grellbunte Hochglanzseiten geblättert habe, stelle ich fest, daß die im Prinzip interessantesten, „klassischen“ Teile wie der Pressespiegel auf den unschön titulierten „Braunen Seiten“ in Kurzform ziemlich am Ende zu finden sind. Im Vergleich zu den knallbunten Rayman- und Sonic3D-Artikeln wirkt das dann ein wenig wie ein eher liebloses Anhängsel von früher.

Natürlich gibt es auch in den neuen Ausgaben viele Artikel, die das Retro-Thema gut und gelungen vertreten. Aber die Tendenz bei den Artikeln geht oft eher in die Richtung eines rein emotionalen Retrogefühls auf abstrakter Ebene und IMO weg von der handfesten Coding-, Bastel- und Alternatividee bzw. dem Widerstand gegen den Zeitgeist, die einst die GO64 für mich ausgemacht haben. Wo sind die Basteleien, wo die vergilbten Gehäuse und schlabbrigen Disketten geblieben? Werden sie nun zu sehr einer knallbunten Hochglanzwelt von XBox-Retro-Live und entstofflichten Emulationswelten weichen, in der der wehmütige „Weisst du noch früher…“-Rückblick den Platz handfesten Retro-tums einnimmt? Wohin das alles führen wird, kann keiner sagen und vielleicht liege ich mit meiner schrägen Kritik oder meinen Befürchtungen auch völlig falsch. Ich möchte halt nur ungern den Tag erleben, an dem das hochglänzende Magazincover den neuen Titel „PC RETRO – Das Spaßmagazin“ verkündet, und uns ein Redakteur im Vorwort erklärt, daß es auch für Retrofreaks nun an der Zeit wäre „…attraktive, neue Wege zu gehen.“ Das wäre dann doch sehr schade.

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