Was mich am Zeitgeist immer wieder sehr verwundert: auf der einen Seite zelebriert er Maschinen und Technokratie als Massenphänomen, wo es nur geht. Bequemlichkeit. Lebensqualität. Lifestyle. Leben in HD, GB, TB und digital bereinigter Perfektion. Auf der anderen Seite hat er für die einzelne oder gar „individuelle“ Maschine keinerlei Gedanken oder Bindung übrig. Nur solange Bequemlichkeit, Respekt der fortschrittlichen Masse und Erfolg garantiert sind, haben sie ein Existenzrecht. Ist eine neue „Leistung“ und Qualität da, der man doch gerecht werden muß, um ein „life“ zu haben, wird aufgerüstet, verkauft, eingestampft. Warum?
Das bringt mich zu einem interessanten Gedanken. Mir wird ja häufiger gesagt, daß ich doch auch Respekt vor der modernen Techologie und deren Möglichkeiten haben soll. Es sind also die Leute, die für meinen technischen „Horizont“ nur Hohn, Spott und Sperrmüll-Titulierungen übrig haben, die davon ausgehen, daß ich mich gefälligst respektvoll oder gar interessiert gegenüber Mega-Pentium, elitärem Power-Linux und Cyber-Autoradio äußern soll bzw. muß. Da frage ich mich aber: haben die Leute denn überhaupt selbst Respekt davor? Sind es für sie nicht nur kurzlebige Wegwerfgüter, die in Bälde wieder umgerüstet, aufgerüstet, verkauft oder in die Mottenkiste geworfen werden, sobald auch nur der geringste Verdacht von „get a life“ auf eine Beschäftigung damit fallen könnte?
Als ich vor einiger Zeit von Respekt vor individuellen Maschinen sprach, gab es natürlich wieder nur irritiertes Kopfschütteln. Dabei ist das IMO einer der Schlüssel dazu, wie man wahren Fortschritt haben kann. Ich respektiere mein Röhrenradio aus den 50ern, meinen XT aus den 80ern, meinen guten alten 386SX25, meinen 1990er Videorekorder, meinen Sperrmüll-Pentium mit seinem wunderbar konfigurierten DOS/WfW etc. Warum auch nicht. Sie tun seit etlichen Jahren bzw. eher Jahrzehnten ihre treue Pflicht (heute hat Hardware schon „ihre Pflicht erfüllt“, wenn sie für eine extrem kurze Zeit wie 4 oder 5 Jahre läuft, welch seltsames Denken), haben individuelle „Eigenschaften“ und Macken (so hat das Röhrenradio z.B. das schönste und wärmste Licht all meiner Geräte. Es wäre unvorstellbar für mich, das durch Lifestyle-Medienplayer oder die gesichtslose Masse namens Internetradio zu ersetzen) und noch manches mehr.
Natürlich ist mir bewußt, daß bestimmte Maschinen nicht vor dem unverschuldeten „Untergang“ zu retten sind. Wenn alles Radio perfektioniert, komprimiert und digital geworden ist, dann helfen dem Röhrenradio kein warmes Licht und keine guten Worte mehr, dann wird es still im analogen „Äther“ und die Radios von Generationen schweigen. Wenn es keine Möglichkeit für Modem-Einwahl in die hehre „Zukunftsschmiede“ Internet mehr gibt, dann werden alle Rechner, die nicht einem aktuelleren Standard entsprechen, raus aus dem Spiel sein. Künstlerpech. In diesem Fall wohl meines. Viele Leute, die mich beständig auf meine frevlerische Rückständigkeit hinweisen, werden sich dann bestätigt sehen. Aber vielleicht trifft ja dann auch das geflügelte Wort zu, daß wir manchmal alle verlieren, selbst die, die glauben gewonnen zu haben?
Ansonsten ist es vielleicht bezeichnend, wie häufig mir gegenüber auf all die so überlegenen Leistungen all der anderen Computer und Gerätchen bestanden wird. Warum? Was zählt, ist, was man damit macht und der größte Schatz kann auf dem kleinsten Rechner zu finden sein. Das beliebige Horten von Datenmassen und gesichtslosen Medien und das indoktrinierte Protzen mit Leistung ist dagegen IMO in höchstem Maß unbedeutend. Eigentlich sollte ich mich also gar nicht darüber ärgern.
Warum es mich ärgert, liegt letztlich wahrscheinlich am allzu kritischen Blick darauf, was gewisse Mentalitäten aus Menschen machen können und wohin eine solche Entwicklung am Ende (und wir sehen immer noch nur den Anfang) führen könnte. Der obige Satz führte zumindest mich nach weiterem Nachdenken zu einem Zitat, welches ich im Ansatz einer Aussage aus der wunderbaren Futurama-Folge „Godfellas“ entlehnt habe:
„Kilobyte or Terabyte are just words. What matters, is what you do…“
Und dieser Satz ließe sich im Prinzip auf alles anwenden, was in der heutigen Gesellschaft künstlich (?) als technologischer Gegensatz gesehen wird. Z80 und Pentium. DOS und Windows 7. Basic 2.0 und Visual C++. 5 1/4″-Diskette und BlueRay-Scheibchen. txt-Datei und Multimedia deluxe etc. etc. etc.
Was zählt, ist letztlich, was dabei herauskommt und was der Einzelne daraus macht. Wobei ich nicht unerwähnt lassen möchte, daß ich persönlich die höhere kreative Energie klar bei den „kleinen“ und „fehlerhaften“ Dingen sehe. Kilobyte und Terabyte sind auf der einen Seite zwar nur Worte, stehen auf der anderen Seite aber vielleicht auch wieder für allzu kollidierende Philosophien von Individualität vs Masse. Und reine Masse lädt IMO weit stärker zu Gleichgültigkeit und Rezipiententum ein (und auch zu einer Degradierung der Substanz, z.B. von Musik in gesichtslosen Massendatenspeichern.)
Gibt es (kreativ gesehen) einen wahren Gleichheitsanspruch zwischen technologischen Polen und kann der größte Schatz im kleinsten Rechner zu finden sein? Kann jemand, für den Masse, Fortschritt, Bequemlichkeit und bestmögliche Anpassung an die Mehrheit das Wichtigste sind, anerkennen, daß letztlich Kilobyte und txt-Dateien die gleichen Rechte als kreative Werkzeuge haben, wie Terabyte und HD-Multimedia? Kann ich anerkennen, daß auch die moderne digitale Technologie in den richtigen Händen ein Mittel der Kreativität sein kann?
Wie dem auch sei. Jetzt werde ich mich erstmal wieder dem 386er zuwenden. Zeitverschwendung oder je nach Belegung die vielleicht interessantesten 6 Megabyte RAM der Welt? Das sollte jedem selbst überlassen sein.
(Gastautor: Chris Pfeiler)
Sehr schöner Artikel.Habe selbst noch einen kleinen Pentium den ich sehr schätze.
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