Bruchbach Serenade
Bruchbach Serenade

Ich entschuldige mich dafür, nach gerade 2 bzw. 3 Beiträgen schon die Keule mit der frechen Eigenwerbung rauszuholen, aber es geht um eine Sache, die mir wirklich wichtig ist. Ich verspreche dafür als Nächstes wieder einen extra verschrobenen Retro-Artikel ;-).

Ein für Retro-Fans interessantes Projekt könnte „Bruchbach Serenade“ sein – und das sage ich jetzt nicht nur, weil ich der Autor der ganzen Sache bin ;-).

Es geht darin um eine fiktive Animationsserie komplett mit Drehbuchskripten, umfangreichem Folgenguide mit momentan 166 miteinander verschachtelten Folgen in 9 Staffeln, Artwork, Serienkonzept, Ideensammlungen und mittlerweile auch drei realen Printcomics auf dem Markt. In Kurzfassung gesagt geht es um drei Freunde und ihr Leben in der Stadt Bruchbach, unterstützt von zahlreichen Nebencharakteren, das Ganze ein klein bißchen in der Tradition der klassischen Simpsons.

Wer sich mit Aussagen aus meinen bisherigen Beiträgen auf der Retro-Webseite identifizieren konnte, dürfte eventuell auch an diesem Projekt eine gewisse Freude haben, denn neben vielen anderen Fragen zu Leben, Zeitgeist, the universe and everything tauchen auch öfter Themen wie Retro, pro & contra Digitalisierung, Verdatung, analoges Leben und ähnliches auf.

So wird der HAL-artige Gegenspieler M.I.S.T. (Multimediales Interaktives Stadt-Terminal) aus dem ersten Comic von einem 6502-Prozessor betrieben und stellt in bester Wargames-Tradition lakonisch fest, daß Pacman ein seltsames Spiel wäre, da die einzige Chance zu gewinnen darin bestünde, sich einen Farbmonitor zu kaufen. Auch im aktuellen dritten Comic begleiten wir den nostalgischen Charakter Klaus im modernen Weihnachtskonsumtrubel auf der „Suche“ nach einem Farbband für seinen Nadeldrucker Baujahr 1983. Überhaupt wenden sich einige Geschichten der subversiven Seite des Retro-Themas zu und versuchen, kritische Fragen an den Zeitgeist zu stellen. Als Beispiel hier eine Storyidee aus Staffel 7:

133. 1977 A.D.

Der neue Bestseller auf dem Markt ist ein Buch über die 70er Jahre. In dem SF-Roman geht es um einen Mann aus einer digitalen Technokratie des Jahres 2028, der – nachdem ihm ein Karton mit alten Kalendern auf den Kopf gefallen ist – zwischen seiner Zeit und einem zweiten Leben im Jahr 1977 wechseln, und seinen Mitbürgern aus der Zukunft eine Philosophie über die Segnungen von Imperfektion und Individualität der alten Zeit bringen kann. Da das Buch unter einem Pseudonym verfasst ist, glaubt in Bruchbach schnell jeder, daß nur Klaus der Autor sein kann, denn sonst würde niemand zu einem solchen Thema schreiben. Klaus bestreitet jedoch, irgendetwas mit dem Buch zu tun zu haben. Er ist vielmehr genervt von der Retrowelle, die das Buch ausgelöst hat. Selbst Rick ist plötzlich optisch und verbal auf dem 70er-Trip – wenn auch nur, um seine selbstgebastelten Diskokugeln zu verkaufen.

Alex ist verwundert über den Ärger von Klaus, hat das Buch doch Erfolg darin, eine Weltsicht zu vermitteln, die seiner entspricht. Es scheint fast, als wäre Klaus sauer darüber, daß seine sonst so persönliche Einstellung plötzlich ein Massenphänomen geworden sei – und damit nicht mehr „anders“ genug ist. Ging es ihm die ganze Zeit nur darum? Ein unsicherer Klaus bricht zum Verlag auf, um allen zu beweisen, daß er nicht der Autor ist – und auch, um sich darüber klar zu werden, warum ihm der Erfolg des Buches so mißfällt. Beim Verlag stellt sich jedoch heraus, daß es gar keinen einzelnen Autor gibt, sondern daß das Buch exakt nach Marktstudien von einem hippen Team verfasst wurde – auch die Philosophien darin sollen nur kalkuliert dazu dienen, mehr Retro-Merchandise zu verkaufen.

Die Agentur hinter dem Buch bietet Klaus einen gutbezahlten Posten als „Verkörperung“ des Autoren an – zumal eine Fortsetzung bereits in Arbeit sei. Wie Alex, Rick und Mike herausfinden, soll im neuen Buch das „anders sein“ durch den Kauf von Retrowaren noch mehr betont werden – außerdem sollen alle (nur oberflächlich auf Retro getrimmten Produkte) einen Chip zur Überwachung des Konsumentenverhaltens enthalten. Bei einer ersten, großen Signierstunde mit „Autor“ Klaus setzt dieser zu einer idealistischen Rede an, die den Verantwortlichen jedoch nicht gefallen wird, zumal das Fernsehen live dabei ist. Und auch Rick und sein Karton voll mit schrottigen Diskokugeln (u.A. aus alten Teigresten und Streusalz) rücken plötzlich in das Zentrum der Aufmerksamkeit.

Wem dies gefällt, der kann zur weiteren Anregung gerne einen Blick z.B. auf Staffel Sieben werfen oder auf die generelle Webseite des Projektes (Warnung: viel Text). Den aktuellen dritten Printcomic (57 Seiten s/w) gibt es auch hier im Webshop.

P.S. Wem das alles noch nicht retro genug ist: das ganze Projekt und auch die Aktualisierung der Webseite werden natürlich von meinem DOS-Rechner aus betrieben :-).

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Von Chris Pfeiler

on allen Retro-Schreibern bin ich wohl derjenige, der das Thema am Persönlichsten vertritt. Ich habe privat keinen digitalen Lifestyle im modernen Stil, also kein Handy, iKram oder aktuelle Rechner. Viele Leute finden das zum Haareraufen und würden mich gerne „missionieren“, ich finde aber, daß einem ein sog. veraltet-analoger Lebensstil viele Ideen und Perspektiven vermitteln kann.